Eine interessante Technik zur Gewinnung einer mehrjährigen Pflanze ist das Abmoosen. Dabei wird ein Ast einer geeigneten Mutterpflanze in einen eigenständigen Bonsai verwandelt, wobei bereits im Vorstadium eine Gestaltung des neuen Baumes möglich ist.
Das enorme Regenerationspotential von Bäumen ist der entscheidende Faktor für das Gelingen dieser Methode. Unterhalb der Rinde findet sich eine dünne Schicht teilungsfähiger Zellen, das »Kambium«. Es besteht aus Zellen in einem quasi Embryonalstadium, aus ihnen können jegliche Organe eines Baumes wachsen. Wir wollen Wurzeln haben. Diese würden zwar auch durch Ablegen oder Absenken entstehen, dafür würden wir jedoch einen ausreichend langen Ast in Bodennähe benötigen. Das Abmoosen erlaubt es uns, auch einen Ast in der Baumkrone in eine eigenständige Pflanze umzuwandeln und wir erhalten gleich einen attraktiven Stamm.
Wir beginnen mit dem Abmoosen etwa Mitte bis Ende März, die Frostperiode sollte vorüber sein und der Baum im vollen Saft stehen. Das eigentliche Abmoosen verläuft in vier Schritten:
Zuerst wird an der Stelle, an welcher später der neue Bonsai von der Mutterpflanze abgenommen werden soll, die Rinde ringförmig entfernt. Dazu werden zwei Schnitte im Abstand von 15mm bis 25mm rund um den Ast geführt. Danach kann die Rinde ringsum abgenommen werden. An der Stelle des oberen Schnittes werden sich später neue Wurzeln entwickeln. Um die Bewurzelung zu fördern, ist es angebracht, die geschälte Stelle mit etwas »Wurzelhormon« zu behandeln.
Sodann wird unterhalb der geschälten Stelle eine Manschette aus lichtundurchlässiger Folie angebracht und mit einem Stückchen Draht befestigt. In diese Manschette wird feuchtes Spagnum-Moos oder ersatzweise aufgequollenes Kokosfasersubstrat (Kokosquellerde) wie beispielsweise Kokohum gegeben und gut angedrückt.
Nun wird die Manschette auch oben zugebunden. Nun braucht man nur sporadisch die Feuchtigkeit im Substrat zu kontrollieren. Dazu öffnet man lediglich vorsichtig den oberen Verschluß. Die Wurzelbildung wird je nach Pflanzenart innerhalb weniger Wochen bis Monate einsetzen. In dieser Zeit darf die Folie keineswegs entfernt werden, da die Gefahr besteht, daß der noch junge Wurzelballen zerbricht und die schwachen Wurzeln abbrechen.
Je nach Baumart und Dicke des abgemoosten Astes kann der neue Bonsai-Kandidat bereits im Spätsommer von seiner Mutterpflanze abgenommen werden. Dazu wird vorsichtig die Manschette entfernt, damit der Wurzelballen nicht auseinander bricht und etwa 1cm unterhalb der Bewurzelungsstelle ein Schnitt gemacht. Der abgetrennte Teil wird nun zur weiteren Entwickung des Wurzelballens in einen Teichplanzkorb mit geeignetem Substrat gepflanzt. Hat das neue Bäumchen zahlreiche junge Triebe, sollten diese geschnitten werden, um das vorhandene Grün (Verdunstungsfläche) in ein normales Verhältnis zu der noch kleinen Wurzelmasse zu bringen. Außerdem sollte der Baum an einem vor Wind und starker Sonne geschützten Platz aufgestellt werden.
Bei Koniferen hat sich eine andere Methode bewährt: Hier wird kein Rindenstreifen entfernt, sondern lediglich eine schmale Nut ringsum den Stamm bis auf das Holz geschnitten. In diese Nut wird ein möglichst dicker Bonsaidraht gelegt und stramm festgezogen. Die Schritte zwei bis vier verlaufen wie oben beschrieben, es wird aber gelegentlich kontrolliert, ob »Kallus« (Narbengewebe) den Draht überwallt. Dann hat der Baum den unterbrochenen Saftfluß wieder hergestellt und es besteht keine Notwendigkeit für die Pflanze, Wurzeln zu bilden. In diesen Fällen hilft es oft, den Kallus an zahlreichen Stellen bis auf den Draht einzuschneiden und zu entfernen. Besser als eine Drahtschlaufe ist die Verwendung einer sogenannten Abmoos-Scheibe, welche im Bonsai-Fachhandel erhältlich ist. Eine derartige Scheibe wird aufgrund ihres Durchmessers kaum von Kallus überwuchert werden können. Koniferen benötigen oftmals zwei Jahre oder mehr, bis sich eine ausreichende Menge Wurzeln gebildet haben.
Die Folienmanschette kann auch durch einen Pflanzcontainer oder gar einen Teichpflanzkorb (TKP) ersetzt werden, wenn der abzumoosende Ast recht stabil ist und wenig durch Wind bewegt wird. In diesen Fällen wird in den Boden eines geeigneten Pflanzgefäßes ein ausreichend großes Loch geschnitten. Einen möglichst geraden Schnitt führt man nun vom oberen Topfrand bis zum Loch im Boden, so daß man den Topf vorsichtig aufklappen und um den Ast legen kann. Der Topf oder Korb wird nun mit Draht fest an seiner Position gesichert und mit einem geeigneten Substrat gefüllt. Bei sehr schnellwüchsigen Pflanzen bietet sich ein TKP mit Lavagranulat oder gebrochenem Blähton an, langsamer wachsende Bäume scheinen besser in einem Pflanzcontainer in einer guten Erdmischung zu bewurzeln. Da bei dieser Methode keine Folie vor dem Austrocknen schützt, ist eine tägliche Kontrolle auf ausreichende Feuchtigkeit im Substrat notwendig. Daher bietet sich die Verwendung von TPK oder Container auch nur bei problemlos zugänglichen Ästen an.
Mit der Methode des Abmoosens gelingt auch das Kürzen eines zu langen Stammes oder die Entfernung eines durch andere Gestaltungsmaßnahmen nicht zu verbessernden Wurzelansatzes. In diesem Fall wird man in der Regel dem TPK oder Container den Vorzug gegenüber der Folie geben, denn der Bonsai ist ja problemlos zugänglich, da er ohnehin regelmäßig gewässert werden muß.